Leseprobe: Mörderische Totengräber

Konstanze

19. März 1966 – Vermisst

An diesem Samstagmorgen kämpfte sich die Sonne erst nach und nach durch die Wolken. Es schien ein ganz normaler Tag zu werden. Noch ahnte niemand, welches Unglück in den späten Nachmittagsstunden über Familie F. hereinbrechen würde.

Gegen 19.15 Uhr erschien zutiefst beunruhigt eine junge Frau auf dem Revier der Volkspolizei in der Weißenfelser Str. 7. Aufgelöst erklärte sie dem Polizisten, dass ihre achtjährige Tochter Konstanze noch nicht zu Hause sei. Ihre Familie hätte schon die Freundinnen aufgesucht. Leider erfolglos. Der Diensthabende versuchte, die Frau zu beruhigen und erklärte ihr, dass sie eine Anzeige auf dem Volkspolizeikreisamt in der Dimitroffstraße erstatten müsste, wenn das Kind nicht bis 21.15 Uhr zu Hause sein sollte.

coverSchweren Herzens muss die Mutter das Polizeirevier verlassen und sich nach Hause begeben haben. Nach nicht enden wollenden anderthalb Stunden ging sie gegen 21.15 Uhr zum Volkspolizeikreisamt Leipzig in der Dimitroffstraße, um eine Vermisstenmeldung aufzugeben.

Herr D., Unterleutnant der Kripo, nahm sie auf. Es war 22.00 Uhr.

Er notierte den Namen der Mutter, ihren Beruf, die Personalausweisnummer sowie ihren Arbeitsort – die Leipziger Wollgarnfabrik in der Nonnenstraße – und setzte die Angaben in die dafür vorgesehen Zeilen ein:

Vermisstensache: Konstanze F.

Delikt: Verdacht des Totschlags gem. § 212 StGB

Tatzeit/Abgängig seit: 16.00 Uhr

Die Mutter gab an, dass Konstanze von ihr zwanzig Pfennig bekommen hätte, um sich in der Straße des Komsomol ein Eis zu kaufen. Konstanze war nicht wieder zurückgekommen.

Weiterhin vermerkte der Beamte auf dem Formblatt Folgendes:

„(…) Einen Grund hat das Kind nicht, von zu Hause fortzubleiben. Es hat mit der Vermissten keinerlei Auseinandersetzungen gegeben. Die 0,20 MDN*(F) erhielt das Kind als Belohnung für Einkaufstätigkeiten. (…)“

(F) *0,20 MDN (Mark der Deutschen Notenbank) = 20 Pfennige

Weiterhin war protokolliert, dass die Mutter die Freundinnen der Tochter erfolglos aufgesucht hatte. Verwandte waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht gefragt oder informiert worden, da die Mutter davon ausgegangen war, dass diese Konstanze schon längst nach Hause geschickt hätten.

Der Unterleutnant wollte zudem wissen, ob Konstanze schon einmal so spät nach Hause gekommen sei oder ob es Probleme in der Schule gegeben hätte. Ihre Mutter konnte sich jedoch nicht erinnern, dass das Mädchen sich jemals so sehr verspätet hätte. Die schulischen Leistungen ihrer Tochter lägen zwischen Zwei und Drei.

Die Mutter erklärte dem Unterleutnant weiterhin, dass sie ihre Tochter angehalten habe, nichts von Fremden anzunehmen oder gar mit ihnen mitzugehen.

In der Anzeige folgte nun die genaue Personenbeschreibung von Konstanze:

„(…) ca. 1,20 m groß, schlanke Gestalt. Langes schwarzes Haar, welches faßt bis auf den Schultern runter fällt.

Vorne trägt sie eine Ponyfrisur. Augenfarbe schwarz. Keine besonderen Merkmale

Bekleidung:

Braunen Teddymantel, rote Lederstiefel,

eine Kopfbedeckung. Blaues Kleid mit weißen Punkten (langärmlig),

braune lange Elastikstrümpfe. Rosa Unterwäsche (…)“

Als „selbst gelesen und genehmigt“ unterschrieb die Mutter das Protokoll. Der Diensthabende fügte handschriftlich ein:

„(…) Fahndung: Rundspruch KT-Einsatz: Eilfahndung erlassen (…)“

Die Suchaktionen und Fahndungsmaßnahmen wurden eingeleitet.